Reform der Kirche – Ignatianische Impulse

Ausgehend von einem Vortrag, den er vor einigen Wochen anlässlich des Synodalen Weges gehalten hat, macht sich Clemens Kascholke SJ Gedanken über das Thema Jesuiten und Kirchenreform(en).

Die Entstehung und Gründung des Jesuitenordens ist eng mit der historischen Phase der  Reformation und der katholischen Gegenreformation im 16. Jahrhundert verbunden. Für Ignatius von Loyola (1491-1556) war die Verbindung mit der römisch-katholischen Kirche grundlegend in das Selbstverständnis seines Ordens eingeschrieben. Im Wissen darum, dass die Kirche in ihrer damaligen Gestalt reformbedürftig war – auch weil er auf seinem eigenen geistlichen Weg an ihre Grenzen gestoßen war.

Seit ihrer Gründung waren Jesuiten immer wieder in wichtige Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse der Kirche eingebunden: in theologische Debatten, in Synoden oder bei Konzilien. Sie waren Berater von Bischöfen oder brachten mit ihren theologischen Entwürfen neue Perspektiven ein. Aber auch in „einfachen“ pastoralen Tätigkeiten als Pfarrer,geistliche Leiter von Jugendverbänden, als Lehrer und Exerzitiengeber begleiten und prägen sie Menschen aus ihrer ignatianischen Grundhaltung der Verbundenheit mit der Kirche. Bis heute ist es ein wichtiger Auftrag der Jesuiten, an der Gestaltung des jeweils aktuellen „Gesichtes der Kirche“ mitzuarbeiten und mitzugestalten. Manchmal im Hintergrund, manchmal als Papst selbst.

 

Was ist die Kirche?

Christus ist das Licht der Völker. Darum ist es der dringende Wunsch dieser im Heiligen Geist versammelten Heiligen Synode, alle Menschen durch seine Herrlichkeit, die auf dem Antlitz der Kirche widerscheint, zu erleuchten, indem sie das Evangelium allen Geschöpfen verkündet (vgl. Mk 16,15). Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit. (Lumen Gentium 1)

So beginnt das Dokument „Lumen Gentium“. Es gibt die leitende Formulierung für das Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche vor, wie sie auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) festgelegt wurde. Der Dreh- und Angelpunkt ist das Glaubensbekenntnis, dass sich in Jesus Christus das Licht für alle Menschen dieser Welt gezeigt hat. Alles andere steht in seinem Licht. Auch die Kirche, die dieses Licht reflektierend weitergeben soll. Die Kirche leuchtet nicht aus sich heraus, sondern, weil Christus durch sie hindurchstrahlt. Deshalb ist es katholische Grundüberzeugung, dass sich – in besonderer/ausdrücklicher Weise – in der Kirche die Begegnung mit  Jesus Christus realisiert.

Die Menschwerdung des Sohnes Gottes zum Vorbild zu haben, bedeutet für die Kirche, an dieser Welt teilzunehmen. Zum Beispiel durch die Feier der Sakramente, insbesondere der Eucharistie, aber auch jede andere Form des Gebets und der Frömmigkeit, die in die Beziehung mit Gott hineinführt. Dies alles geschieht im Heiligen Geist, der als Beistand die Sendung des Sohnes in dieser Zeit fortführt. Er ist der Garant, dass sich Kirche im Laufe der Geschichte sich immer wieder aktualisiert hat.

 

Realität der Kirche
Zur Realität der Kirche als historischer Institution gehört auch, dass sie von Menschen gestaltet und geleitet wird. Menschen, die sich für andere einsetzen, versuchen, das Evangelium Jesu Christi in ihrem Leben zu verkünden und so Zeuginnen und Zeugen des Handeln Gottes zu sein. Genauso wird sie aber auch von Menschen geprägt, die Fehler machen und Sünden begehen. Auch sie gehören zur Realität der Institution Kirche. Deshalb heißt es im Dokument „Lumen Gentium“ an einer anderen Stelle, dass die Kirche „zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig“ (LG 8) ist. Deshalb sind ausdrücklich „Buße und Erneuerung“ (LG 8) für die Kirche notwendig, damit sie Licht für die Völker bleiben kann.

 

Wer bin ich in der Kirche?
Die Kirche ist die Gemeinschaft der Glaubenden. Sie ist ein lebendiges, vielfältiges Gebilde. In verschiedenen Kulturen, Nationen und Sprachen zeigt sich die Kirche immer etwas anders und versteht sich doch als eine. Gerade in dieser Vielfalt ist jeder und jede Getaufte Werkzeug – Sakrament – der Gegenwart Gottes gemeinsam verbunden im und aus dem Heiligen Geist.
Diese Gemeinschaft bedarf wie jede andere auch Menschen, die sich mit ihr verbunden fühlen und mit ihr verbunden leben. Als Teil der Gemeinschaft der Glaubenden ist man dazu aufgerufen, sich immer wieder bewusst in diese Gemeinschaft hineinzustellen. Ignatius von Loyola hat am Ende seiner Geistlichen Übungen (Exerzitienbuch) verschiedene Regeln aufgestellt, um dieser Verbundenheit Ausdruck zu verleihen. Er spricht vom „Fühlen mit der Kirche“ (sentire cum ecclesia). Diese Regeln muss man einerseits stark im Kontext der katholischen Frömmigkeit des 16. Jahrhunderts verstehen, andererseits lässt sich darin eine Grundhaltung entdecken, die jederzeit aktuell ist (und nicht nur für die Kirche, sondern auch für das zwischenmenschliche Leben eine Relevanz besitzt).

 

Eine Kultur des Lobens
Bei einem ausschließlich kritischen Blick auf die institutionelle Kirche besteht die Gefahr, dass sich  ein Tunnelblick einstellt, der alles dominiert. Auf diese Weise nimmt schleichend und kaum merklich immer mehr die Freude an der Kirche ab und damit auch die Freude an den Dingen, die gut und lobenswert sind.
In diesen Regeln setzt Ignatius den Impuls, den persönlichen Fokus weg von den Schattenseiten der Kirche, hin zu einem Blick auf die Lichtseiten zu verändern. Dabei werden die Schattenseiten aber keinesfalls geleugnet. Anknüpfungspunkt des Lobes sind diejenigen Dinge, die Menschen konkret helfen in einer Beziehung mit Gott zu stehen: etwa den regelmäßigen Empfang der Kommunion und das Beichten, Gesänge, Psalmen und ganz allgemein das Beten, aber auch Wallfahrten und schlicht das Anzünden von Kerzen in den Kirchen. Im 21. Jahrhundert mag man dieser klassischen Liste bspw. die Angebote von Exerzitien im Alltag, die Mitarbeiter:innen der Härtefallkommission in der Flüchtlingsarbeit und Meditationsangebote zur Mittagszeit in einer belebten Fußgängerzone hinzufügen.

Die Reformatoren legten zur selben Zeit den Finger in die Wunde und wandten sich von der in ihren Augen verkommenen Kirche ab. Ignatius sah die vielen problematischen Seiten der Kirche ebenfalls, doch regte er zu einer Logik des Vertrauens an. Auch in einer Kirche, die den Makel der Sünde in sich trägt und das Licht des Evangeliums verstellt, ist Gott dennoch wirksam: Menschen finden Hilfe zur Gestaltung ihrer Beziehung zu Gott.

Aus einer Haltung des Lobens, des Vertrauens und der Freude heraus entwickeln sich eine andere Wahrnehmung und eine andere Diskussionskultur. Eine der Freiheit und Klarheit, mit der Möglichkeit zumEin- und Widerspruch, wenn es darum geht, die Kirche und ihre Strukturen auf Jesus Christus als Maßstab hin zu befragen.

 

Reform – nur im Heiligen Geist
Eine Reform der Kirche kann und muss eine Reform aus dem Heiligen Geist sein. Doch diesen und andere Geister hat niemand in der Hand. Deswegen ist es notwendig, hier  entsprechend dem, was mehr zum Willen Gottes führt, zu entscheiden. Diese Unterscheidung der Geister ist eine Form der Anerkennung, dass das Wirken des Heiligen Geistes nicht automatisch und nur so, wie es scheinbar klar erwartbar ist, verfügbar ist.

Entsprechend der Ratschläge von Ignatius braucht es für eine aufrichtige und ehrliche Unterscheidung der Geister eine Haltung der Offenheit und eine innere Stimmung, die nicht von Angst und Trauer, nicht von Verzweiflung und Trostlosigkeit geprägt ist. Diese Haltung muss auch als Gemeinschaft eingeübt werden. Ja, man muss darum bitten, dass das eigene Unterscheiden in Freiheit und im Heiligen Geist geschieht. Aus einer solchen Grundhaltung heraus, haben sich Jesuiten durch die Jahrhunderte immer wieder aufgerufen gefühlt, die Reform der Kirche voranzutreiben, um das Evangelium Jesu Christi jeweils neu aktuell zu verkünden.

Dies bedeutet zum einen, dass man sich auf ein geduldiges Wachsen und Reifen von verändernden Entscheidungen einlassen muss, die nicht von heute auf morgen erzwungen werden können. Zum anderen ist ein Rahmen des Vertrauens und des wohlwollenden Verstehenwollens notwendig, wenn man in ein ehrliches und konstruktives Gespräch kommen möchte. Dies ist wohl der wichtigste Punkt allen Miteinanders in den Reformbemühungen: Alle Beteiligten müssen sich immer wieder um eine Sprache der Versöhnung und der Vermittlung bemühen und eine Sprache der Polemik und der Polarisierung vermeiden.

 

Reform – zuerst bei mir
Wenn ich auf meine persönliche Auseinandersetzung und Verhältnisbestimmung zur Kirche seit Beginn meines Theologiestudiums im Jahr 2006 und dann besonders seit meinem Ordenseintritt 2011 und noch einmal seit der Diakonen- und Priesterweihe 2018 schaue, dann darf ich mir eingestehen, dass ich offener, freier und verständnisvoller geworden bin. Heute verstehe ich mich als Jesuit in erster Linie als „Brückenbauer“ zwischen Gott und den Menschen und genauso zwischen Menschen untereinander. Ich hänge weniger an meinen „richtigen“ Bildern von Kirche, Gottesdienst etc., sondern frage mich immer mehr, wie ich jeweils neu die Botschaft Jesu am besten verkünden an, dass sie mich und damit die Kirche und so diese Welt verändert. Denn die Reform der Kirche fängt zuerst bei mir an, indem ich mich auf Gott und seinen Heiligen Geist hin ausrichte und ihm vertraue, dass er in aller Unübersichtlichkeit der Lage mich und seine Kirche durch die Zeit führen wird.

Verwendete und empfohlene Texte zum Thema:

  • Kehl, Medard: Mit der Kirche fühlen (Ignatianische Impulse; 44). Würzburg 2010.
  • Kehl, Medard: Was gibt Ignatius der Ekklesiologie nach dem 2. Vatikanischen Konzil zu denken?, in: Gertler, Thomas / Kessler, Stephan Ch. / Lambert, Willi: Zur größeren Ehre Gottes. Ignatius von Loyola neu entdeckt für die Theologie der Gegenwart. Freiburg i.Br. 2006, 126-140.
  • Lefrank, Alex: Freiheit in Gehorsam, in: Gertler, Thomas / Kessler, Stephan Ch. / Lambert, Willi: Zur größeren Ehre Gottes. Ignatius von Loyola neu entdeckt für die Theologie der Gegenwart. Freiburg i.Br. 2006, 160-179.
  • Pachmann, René: Loben, loben, loben. Ignatius von Loyola und die Kirche in der Krise.

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