Nichts für Feiglinge

Tobias Zimmermann SJ gibt Dir einen Einblick in das, was er Ökumene der Märtyrer und einen überfälligen Aufbruch in eine vertiefte christliche Identität nennt. Anlass dafür ist die Ermordung Alfred Delps vor 75 Jahren.

Am 2. Februar 2020 jährte sich dieses Jahr zum 75. Mal der Tag der Ermordung des Jesuiten P. Alfred Delp SJ. Von seinem Provinzial P. Augustin Rösch war er in den Kreisauer Kreis entsandt worden, eine Gruppe, die sich um den protestantischen Adeligen und Großgrundbesitzer Helmuth James von Moltke versammelt hatte, um über eine humane Ordnung Deutschlands nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialistischen Reiches nachzudenken. Der Kreis wollte  Barrieren unter Kirchen, Gewerkschaften, zwischen unterschiedlichen politischen und sozialen Milieus abbauen. Denn die soziale Zersplitterung hatte die Abwehrkräfte gegen die Radikalisierung der Gesellschaft geschwächt und so die Machtergreifung der Nationalsozialisten ermöglicht. Delp, der die Trennung der Konfessionen in der eigenen Familie und Biografie schmerzhaft erlebt hatte, schrieb: „Wenn die Kirchen der Menschheit noch einmal das Bild der zankenden Christenheit zumuten, sind sie abgeschrieben.“ (Alfred Delp: Gesammelte Schriften. Hrsg.: Roman Bleistein. Josef Knecht, Frankfurt am Main. Bd 5)

Alfred Delp und der Kreisauer Kreis

Im Kreisauer Kreis sollte ein Fundament der Verständigung gelegt werden, auf dem dann gemeinsam eine humane Nachkriegsordnung aufgebaut werden konnte. Delp brachte die Grundsätze der katholischen Soziallehre ein. War das Widerstand? Einzelne Mitglieder des Kreises setzten sich persönlich in anderen Kontexten für verfolgte Menschen ein. Der Kreis selbst aber war ein Debattenforum für Andersdenkende. Und doch, als ein Großteil der Mitglieder im Kontext des Stauffenberg-Attentats aufflogen und verhaftet wurden, gab die Reaktion der Nationalsozialisten einen Eindruck davon, wie ernst sie diese Gruppe als Widerstand nahmen. Hier erlaubten sich Menschen, aus der tiefen Überzeugung vom nahen Ende des nationalsozialistischen Wahnsinns Alternativen vorzubereiten. Hitler setzte seinen Bluthund Freisler, den Richter des Volksgerichtshofes ein, um darauf zu antworten. Und er ordnete persönlich an, die Leichen der Hingerichteten zu verbrennen, und die Asche auf den Rieselfeldern zu verteilen. Selbst das Andenken an die Mitglieder des Kreisauer Kreises sollte ausgelöscht werden. Eine politische Wirkung nach dem Krieg erzielte die Gruppe aber weniger durch ihre Texte. Nichts davon fand Eingang in die Debatten des Verfassungskonvents. Viele von ihnen, auch Delp, verkörperten noch zu sehr das Hängen an vergangenen Konzepten eines deutschen Sonderweges, als dass ihre Ideen bei der Gründung eines demokratischen, liberalen Deutschlands hätten hilfreich sein können. Wirksam wurde vielmehr ihre gelebte Praxis des Dialogs und des Ausgleichs gegen die ideologische Zersplitterung der Gesellschaft. Damit ebneten sie ohne Zweifel beispielsweise den Weg für eine christliche Partei, statt der konfessionell getrennten politischen Bewegungen vor dem Krieg.

Verhaftung, Hinrichtung und geistliche Wege

Verhaftung, Gefängnis und Schauprozess aber markieren den Beginn einer tieferen Dynamik der konfessionellen Versöhnung. Die Verhafteten begannen einen gemeinsamen geistlichen Weg, unterstützt durch den Austausch von Kassibern über Aufseher des Gefängnisses und über die Gefängnisseelsorger. Darauf gegründet, begannen sie das, was ihnen vor Gericht widerfuhr, neu zu lesen. Vor Gericht aber fokussierte sich die Anklage immer mehr auf einen Punkt: Christen hatten sich verbündet, um gemeinsam für eine humane Gesellschaft einzutreten. Sie zeigten, dass Christentum und Nationalismus bzw. Nationalsozialismus grundsätzlich unvereinbar sind. Die Gefährten begriffen, dass sich ihre Rolle verändert hatte. Es ging nicht mehr darum, selbst Geschichte zu schreiben. An ihnen wurde Geschichte geschrieben. Dies ist die Tiefendimension dessen, was Martyrium, Zeugnis, eigentlich meint. Nicht menschliche Heldengeschichten, die genauer betrachtet meistens nahe an religiöser Militanz siedeln.

Moltke schrieb dazu an seine Frau Freya: „Und dann wird Dein Wirt (sein Kosename) ausersehen, als Protestant vor allem wegen seiner Freundschaft mit Katholiken attackiert und verurteilt zu werden, und dadurch steht er vor Freisler nicht als Protestant, nicht als Adliger, nicht als Preuße, nicht als Deutscher – das ist alles ausdrücklich in der Hauptverhandlung ausgeschlossen – , sondern als Christ und als gar nichts anderes … Zu welcher gewaltigen Aufgabe ist Dein Wirt ausersehen gewesen: All die vielen Umwege, die verschrobenen Zickzackkurven, die finden plötzlich in einer Stunde am 10. Januar 1945 ihre Erklärung. Alles bekommt nachträglich einen Sinn, der verborgen war.“ Und trocken endet er: „Das hat den ungeheuren, dass wir nun für etwas umgebracht werden, was wir a. gemacht haben, und was b. sich .“ (Helmut James und Freya von Moltke „Aschiedsbriefe Gefängnis Tegel“)

Was sich aber an der Geschichte der Gefährten zeigt, ist ein Gott, von dem Ignatius von Loyola sagt, er lasse sich in allem suchen und finden. Wer es ernst damit meint, der muss – wie Ignatius – sich auch sehr ernsthaft mit dem auseinandersetzen, was Andersdenkende sagen, muss also – mit den Worten des Ignatius gesagt – suchen, „die Aussage des Anderen zu retten“. Wer sich ernsthaft von dieser mystischen Dimension des ökumenischen Zeugnisses der Frauen und Männer des Kreisauer Kreises berühren lässt, bekommt es mit dem  Geist des lebendigen Gottes zu tun, der uns Menschen in einen Dialog verwickeln möchte, mit sich und untereinander. Die lebendige Kraft dieses Geistes könnte uns Christen befreien aus der ängstlichen Denkmalpflege konfessioneller Ghettos, die nicht nur Menschen vertreiben, sondern längst auch den Glauben an den lebendigen Gott. Ein Christentum das aus der Quelle dieses lebendigen Dialogs schöpfte, würde einen Beitrag zur Versöhnung der Gesellschaft leisten, und müsste sich nicht mehr nach der Relevanz seiner Mission in der modernen Gesellschaft fragen lassen.

 

Tobias Zimmermann SJ ist seit 1990 Jesuit und momentaner Direktor des Heinrich-Pesch-Hauses in Ludwigshafen.

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